Wie man mit Sicherheit nicht ans Ziel kommt
Gedanken zu Sinn und Unsinn von Reifegradassessments und Standortbestimmungen bei der Erarbeitung von digitalen Massnahmeplänen und Strategien.
Wenn es nicht so nervig wäre, würde man es gerne vergessen. Aber selbst mir, da wir in unserem Unternehmen durchaus mit “Standortbestimmungen”, “Readiness-Assessments” und Machbarkeitschecks unsere Brötchen verdienen, gehen die fast schon inflationär auftretenden digitalen Assessments, Reifegradmodelle und Standortbestimmungen ans Nervenkorsett.
Der Grund dafür liegt allerdings nicht darin, dass es selbige in inflationärer Menge gibt, sondern darin, wie sie eingesetzt bzw. wie sie zu Zwecken instrumentalisiert werden, die weit weg von dem sind, wozu sie geschaffen wurden.
Beginnen wir bei den Reifegradassessments. Der Begriff Maturity, oder zu Deutsch Reife, kann als die Veränderung eines Ausgangszustands in einen anderen, fortgeschritteneren Zustand verstanden werden.
Somit drückt eine Maturity-Konzept eine stufenweise Entwicklung über dazwischenliegende Zustände aus, bis schliesslich „the most advanced stage in a process“ erreicht wird.
In der technologiegetriebenen Welt wird Maturity als „a measure to evaluate the capabilities of an organization“ angesehen. Kurz ein “Wo stehe ich mit meinen Fähigkeiten und was kann ich maximal erreichen” stehen im Zentrum der Fragestellung. Es werden je nach Aufbau des Reifegradmodells Indikatoren erhoben, welche am Ende aufzeigen, wie nahe man mit seinen Fähigkeiten an einem vom Assessor festgelegten Idealzustand ist.
Das kann zum Beispiel eine möglichst nachvollziehbare und in der Qualität gut dokumentierte Software sein (Capability Maturity Model). Andere erheben gerade in der digitalen Szene die Nähe zu einem organisatorischen Idealzustand (Digital Maturity Matrix vom MIT), wieder andere konzentrieren sich auf die Mobile Maturity etc.
All diese Assessments unterlassen eines: Die Frage danach, wohin eigentlich der Empfänger dieser Assessment-Ergebnisse will, respektive welchen Zielzustand der Leistungsempfänger erreichen will. Die Fähigkeiten, welche Reifegradassessments erheben stehen also in keinerlei Zusammenhang mit dem konkreten strategischen Zielen, die ein Unternehmen verfolgt
Fragen aus Capability- und Reifegradassessments führen im schlimssten Falle dazu, dass man genau nach der Pfeife desjenigen tanzen, der dieses Reifegradassessment erfunden, durchgeführt oder vermarktet hat.
Da auch noch sehr oft mit Bewertungskriterien gearbeitet wird, die in einem “Nicht vorhanden”, “Nicht klar definiert”, “Nicht konform zum Fragemodell” enden, entsteht das nächste Dilemma:
Kein Testempfänger will auf sich sitzen lassen, er hätte seinen Job nicht gemacht. Damit aber werden im schlimmsten Falle der Manipulation Tür und Tor geöffnet.
Fragt man also mich zum Thema Standortbestimmung, so frage ich zuvor immer nach den strategischen Zielvorstellungen, Vision Statements und nach dem Wissens-Stand darüber, was man zu seinen Zukunftsmöglichkeiten grundlegend schon rausgefunden hat.
Am Outcome dem man sich wünscht, kann man auch entsprechende Reifegrade ableiten und aufbauen.
Gerade aber im digitalen Bereich musste immer eines festgestellt werden:
Kaum einer der wirklichen Disruptoren, die heute als Vorbild gelten, haben sich je einen Deut um den Reifegrad geschert, sie haben sich auf eine klar formulierte Zielvorstellung konzentriert und sich an diese mit aller Konsequenz und Verve herangearbeitet, gelernt, modifiziert und sehr oft die Perfektionisten hinter sich gelassen (siehe Innovators Dilemma von Clayten Cristensen).
Es kommt also auf die Zielvorstellungen an und nicht auf die Wunschvorstellungen etablierter und auch nicht etablierter Experten (seien es Beratungshäuser, Thinktanks oder Lehrstühle). Kennt man seine eigenen Zielkorridore noch nicht (was die Regel ist), so geht die Wirkung von Reifegradmodellen ins Leere.
Reifegradmodelle werden bei mir dann bevorzugt, wenn aufgrund einer konkreten Zielsetzung (Erreichen einer Compliancevorgabe, Nachvollziehbarkeit von Lieferergebnissen, Leistungsverknüpfungen etc.), die steht und sich mittelfristig nicht ändert, dem Kunden Sicherheit, Vertrauen und Klarheit in die eigenen Fähigkeiten gegeben wird, weil Vorgaben erreicht werden müssen (um das Vertrauen von Kunden, Behörden, Anspruchsträgern etc. zu erhalten).
Was aber mit dem Bedürfnis wissen zu wollen, wo man steht.
Geht man von der Prämisse aus, dass es bei digitalen Strategien um den Erhalt, den Ausbau und die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in einem konkreten Umfeld geht, so wird man sich entlang dreier Fragevektoren an sein Ziel heranarbeiten:
Was macht mich, warum in einem künftigen Markt für künftige Kunden zu einem relevanten Akteur
(Wohin kann ich mich bewegen)?Welche Fähigkeiten habe ich, brauche ich, um um diesem Umfeld nachhaltig relevant zu bleiben (Inside-Out)? (Wo stehe ich)?
Wie und woran erkenne ich, dass sich etwas bei mir etwas ändern muss (Outside-In-Indikatoren) oder dass ich an meinen Fähigkeiten (repräsentiert durch Leistungskatalog, prozessuale und technische Bebauung) etwas anpassen muss. (Wie hat sich meine Situation verändert)?
Das aber wiederum erfordert als “Assessoren” Menschen, Anbieterprofile oder Assessoren, die folgendes mitbringen:
Das Gespür dafür, wie Wettbewerbsumfelder ticken und nach welchen Regeln sie funktionieren
Das Wissen und die Fähigkeit die Möglichkeiten spezifischer digitaler Technologien und neuer Arbeits- und Wertschöpfungsansätze in spezifischen Wettbewerbsumfeldern nach Ursache, Wirkung und Veränderungspotential abschätzen zu können
Den Willen seinen Kunden zu verstehen, zu erkennen, welche internen Zusammenhänge evident sind
Vor allem aber sollten jene, die sich im Umfeld der Standortbestimmungen bewegen immer bewusst sein, dass es immer den Zusammenhang aus
Was will ich?
Wo stehe ich?
Was ist möglich und sinnvoll?
nicht aus dem Auge verlieren. Alles andere führt für den Kunden immer in ein Desaster.
Wer sich eine Übersicht zu den existierenden und wissenschaftlich revidierten Assessment-Modellen verschaffen will, hat nun zwei Möglichkeiten:
Gute Bücher lesen
Sich von uns kurz briefen lassen, um herauszufinden, was zweckmässig ist.
Nächster Blog: Warum das Stellen einfacher Fragen mehr bewirkt, als jegliche Agilität, Digitalisierungsgläubigkeit oder Technologiekenntnis…